Sigrid Kopfermann – Ein Nachruf / Von Horst Dieter Bürkle – 08.08.2011

Relativ spät erst habe ich Sigrid Kopfermann kennengelernt. Es war im Jahre 2000, als wir beschlossen hatten, ihr den Preis für ihr Lebenswerk zuzusprechen, da war sie bereits 77 und noch immer durch und durch die »Grande Dame« nicht allein der Darmstädter Sezession, es war, als leuchtete noch immer ihre sowohl von Pioniergeist als auch von ästhetischem Empfinden geprägte Herkunft allüberall durch.

Als Enkelin des Flugpioniers Otto Lilienthal und Tochter des Architekten Walter Kopfermann, schlug sie – gegen den Widerstand ihrer Eltern – als Achtzehnjährige den Weg in die Malerei ein und begann 1941, während der Feldzug gegen die Sowjetunion startete, ihr Studium an der Berliner Hochschule für Kunst bei den Professoren Willy Jaeckel und Bernhard Dörries. Zusammen mit dem Ende des zweiten Weltkrieges vier Jahre später endete auch ihr Studium. Sie heiratete den Maler Egon Neubauer, man übersiedelte zunächst nach Langenholtensen nahe Northeim, später nach Hannover, wo sie 1950 einen Sohn zur Welt brachte.

Sie war, mit einigen Unterbrechungen, auch als Kunsterzieherin im Schuldienst tätig, was an ihrem ungebrochenen Drang zur Malerei freilich wenig zu ändern schien. Bereits 1947 hingen Bilder von ihr in der Herbstausstellung des Kunstvereins Hannover, ein Jahr zuvor schon ist eine Einzelausstellung in einer Northeimer Galerie verzeichnet, doch in später veröffentlichten Biographien führte sie nurmehr die Ausstellung von 1959 im Kunstverein Hannover als ihre erste Einzelausstellung auf.

Betrachtet man das frühe »Mädchen am Tisch« von 1946 und den »Akt mit Blumen«, den sie 1948 malte, so ist da nichts, aber auch gar nichts zu spüren von der Not jener Nachkriegsjahre, in all der lichten Sommerseligkeit scheint indessen schon sehr viel von ihrem später geäußerten Bekenntnis durch, demzufolge sie ganz und gar von der Farbe komme, worin sie wohl auch nebenbei ihrer Seelenverwandschaft zu Paul Klee Ausdruck gab, der während seiner berühmten Tunesienreise zusammen mit dem fünf Monate danach gefallenen August Macke und dem Schweizer Maler Louis Moilliet im April 1914 begeistert empfand »Die Farbe und ich, wir sind EINS. Ich bin Maler«.

War, wie die beiden Beispiele zeigen, Sigrid Kopfermann Ende der vierziger Jahr noch relativ dicht an der Figuration, begann sich ab den fünfziger Jahren, vor allem nach längeren Reisen und Aufenthalten in Frankreich, Italien und auf Ibiza allmählich der Übergang zur Abstraktion abzuzeichnen. Der weithin bekannte Kunsthistoriker Wieland Schmied schrieb dazu im Katalogvorwort zu einer ihrer Ausstellungen: »Bei wenigen Künstlern erscheint der Schritt zur Abstraktion so sehr als Befreiung, als Weg zu sich selbst, als Selbstfindung, wie bei Sigrid Kopfermann. Erst in der Abstraktion werden die Bilder ganz Landschaften, ganz Natur. Dann, nach etwa anderthalb Jahrzehnten reiner naturhafter, naturdurchtränkter organischer Abstraktion, wieder reine Landschaften, durch Abstraktion gereinigte, geläuterte, von Abstraktion durchglühte Landschaften. In der Abstraktion: Landschaften. In den Landschaften: Abstraktion«.

Zwischen 1956 und 1958 hielt sie sich mit ihrem Jungen in Paris auf, in dieser Zeit wurde sie auch Mitglied der Darmstädter Sezession. Es kamen jetzt nach und nach die Erfolgsmeldungen: Sie erhielt den Kunstpreis «Die neue Generation« in Hannover, den Kunstpreis der Bremer »Böttcherstraße«, den Förderpreis des Landes Niedersachsen.

Kopfermann schien mittlerweile in der puren Abstraktion angekommen. Zu «Flache Landschaft« schrieb der Kunstkritiker der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT, Gottfried Sello, es bestehe »aus farbigen Blöcken, die über- und nebeneinander lagern, die sich nicht gegenständlich erklären lassen. Das Braun ist kein Acker, das Grün ist nicht Wald, das Blau ist kein See … Aber das Bild ist nicht nur abstrakte Komposition. Es enthält durchaus landschaftliche Elemente, die sich auf keine bestimmte Gegend fixieren lassen. Naturerlebnisse, an die sich die Malerin erinnert, die sie in ihr Bild einfließen lässt. Hier ist ein Gleichgewicht hergestellt von Landschaft und Abstraktion.«

1965 heiratete Sigrid Kopfermann den zwölf Jahre älteren, sehr angesehenen Düsseldorfer Juristen, Stadtrat und Kunstsammler Dr. Otto Fuhrmann, einen der Mitbegründer des Deutschen Beamtenbundes in Nordrhein-Westfalen. Ihr neuer Lebensmittelpunkt wurde nun ein »Barockschlösschen« in Düsseldorf-Oberkassel. In diesem gediegenen Ambiente aus dem 18. Jahrhundert schuf sie sich nach und nach Platz auch für ihre eigene Kunst.

Es folgte im Weiteren eine reiche Schaffensphase, in der Sigrid Kopfermann sich neben ihrer freien vermehrt auch der angewandten Malerei widmete und Wandmosaiken, Keramikböden, Wandteppiche, Resopalwände und zahlreiche Kirchenfenster schuf.

Es gibt, so Wieland Schmied, im Werk der Sigrid Kopfermann keine tief gehenden Brüche, nirgendwo radikalen Richtungswechsel. Ihre Arbeit sei vielmehr gekennzeichnet von einer selbstverständlichen Kontinuität. Sie stehe ganz im Zeichen organischen Wachstums, und ihr Ziel sei immer Harmonie – ein kurzer Blick auf die Handvoll Beispiele in diesem Nachruf weist diese Behauptung nachdrücklich aus. Und wenn es doch so etwas wie einen thematischen Richtungswechsel gab wie nach der 1988 erfolgten »Begegnung mit dem Engel« in einer oberbayerischen Klosterkirche oder der vor Rodins »Höllentor« im Pariser Musée Rodin, blieb sie sich treu in der Art und Weise, wie sie in diesen Fällen zwar nicht aus der Natur, sondern aus der Kunst kunstschöpfend in Farbgebung und Pinselduktus mit den Themen umging und sie bravourös bewältigte. In eine Hölle, die aussieht wie gewoben nicht aus versehrenden Flammen, sondern aus flirrendem Sommersonnenlicht, lässt sich frohgemut stürzen.
Sigrid Kopfermann starb kurz vor dem Erreichen ihres 88. Geburtstages in Düsseldorf; das »Schlösschen« in der San-Remo-Straße, in dessen oberstem Stock das Atelier eingerichtet war, in dem sie die Eindrücke schier zahlloser Auslandsreisen auf ihre Leinwände bannte, hatte sie bereits nach dem Tod ihres Ehemannes 1994 in eine Stiftung eingebracht.

Sigrid Kopfermann hat der Darmstädter Sezession über ein halbes Jahrhundert lang angehört. Sie wird uns über ihren Tod hinaus als eine Malerin in Erinnerung bleiben, deren Bilder dem Betrachter stets verkünden, dass es eine Lust sei, zu malen.

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