Siegfried Rischar – Ein Nachruf / Von Thomas Richter – 28.11.2009

«Das enthusiastische, blühende Aufnehmen verursachte ein Kichern auf kahlen Ästen. Die Larvenhaftigkeit der menschlichen Existenz, euphorisches Gehabe und penetrante Verlogenheit brachten mich zur Zeichnung, und ich fand mich selbst.» S. R., Kunstreport 1974 Siegfried Rischar war ein dem Leben und den Menschen existentiell Zugewandter. Dies war vielleicht der stärkste und bleibendste Eindruck für einen Besucher, der diesem Mann zum ersten Mal begegnete. Diese Zugewandtheit äußerte sich nicht in einer leutseligen Vertrautheit der Oberfläche, sondern vielmehr in einer ganz speziellen Empathie, dem mitfühlenden Interesse dieses Künstlers, der sich allen für ihn neuen Erscheinungen hingab, um auch jeder dieser weiteren Facetten des Lebens zu begegnen und sie in sich aufzunehmen. – Ein dem Leben Zugewandter und ein sich hingebender Mann, der die große Gabe besaß, seinen Gefühlen, Kämpfen, seinen Wünschen und Visionen Gestalt zu verleihen in seinen empfindungsreichen und von seiner Persönlichkeit durchwobenen Gemälden, Wandbildern, seinen Zeichnungen und Graphiken. Siegfried Rischar begann 1947 mit dem Studium der Malerei bei Prof. Wilhelm Heise an der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main (Städelschule). Er teilte die Mühen der Nachkriegszeit mit vielen Künstlern seiner Generation und verdiente sich seinen Unterhalt unter anderem mit Tätigkeiten als Bühnenbildner und, nach der Währungsreform, als Gebrauchsgraphiker.

Seit 1958 konnte er, inzwischen Familienvater, als frei schaffender Künstler tätig sein. In Rischars Werk gibt es vom Standpunkt des Betrachters aus gesehen Schwerpunkte seines Schaffens. Hier fest umrissene Bereiche als Monolithe zu definieren, täte ihm jedoch sicherlich Unrecht. Die unvermeidliche ‚kunsthistorische Würdigung’ wird die Distanz erbringen. Der Künstler schöpfte aus einer reichen Quelle und in seinen von persönlichen Perspektiven durchdrungenen Gestaltungsprozessen wob er vieles ineinander. Doch lässt sich sagen, dass die Natur, der Mensch in seinem Streben und Begehren, das Geistliche wie das Geistige, hier vor allem die Literatur und die Musik, als Quellen der Inspiration wesentliche Zentren seines Denkens und Schaffens darstellten. Ein wichtiges Werk in der frühen Zeit dieses spät zu seinem Eigenen findenden Künstlers ist der Kreuzweg in der Wallfahrtskirche Hessenthal, den er 1967 ausführte. Er markiert den Stellenwert der religiösen Thematik in seinem Werk, der oft übersehen wurde. Es folgten weitere ähnliche Aufträge, auch für Altarbilder. Siegfried Rischar öffnete seine Kunst den Themen des Religiösen in einer selbstständigen und tief reflektierten Weise. Auch hier interessierte ihn nicht die Doktrin, sondern das unmittelbar Erlebte, die Nahsicht auf die Tragödie des Menschen und die Apotheose seiner Menschlichkeit. Siegfried Rischar war sicherlich kein Maler der Düsternis, sondern der Hoffnung. Gleichwohl zeigen viele seiner Bilder den Menschen als hoffnungslos Verstrickten; in innere Begehrlichkeiten wie auch äußere Imperative. Aus diesen Zuständen der Bedrängnis gewann und nutzte der Künstler jedoch für sich die Kunst als das Medium des Schilderns wie des Bannens innerer Qualen und Freuden. Neben den narrativen Elementen seiner Bilder, die oft Geschichten in vielerlei Schichten und Wendungen wiedergeben, spielte die Farbe die zentrale Rolle. Rischar verstand es wie wenige, die suggestive Kraft der Farbe in seinen Bildern zur Wirkung zu bringen. Seine Stellung zur Farbe, zu ihrer Struktur und zu ihrem Wesen im Anblick des unendlichen Nuancenreichtums der Natur wäre am ehesten mit derjenigen einer Liebesbeziehung zu vergleichen.

Das «Vokabular» für seinen lebenslangen Diskurs fand Siegfried Rischar immer wieder in der Natur. Von großer Bedeutung war für ihn stets die unmittelbare Begegnung, das unbeschränkte Erleben. Die Natur, der Mensch, beide Interessen führten ihn auf ihre, auf seine «Spur», führten ihn in die Ferne. Erste Reisen nach dem Krieg hatten bereits Italien und Jugoslawien zum Ziel. 1968 ging Siegfried Rischar nach New York. Auf Einladung des deutschen Konsuls Günter Habelt knüpfte er vielfältige Kontakte und studierte das in dieser Zeit so ungeheuer aufstrebende und vielschichtige künstlerische Leben der Weltmetropole. 1969 zeigte er dort erstmals seine eigenen Werke in einer Ausstellung im Goethe-Haus. Die enorme Vielfalt im Werk Rischars, die unzähligen Verweise auf Erlebtes und Erlittenes sind ohne diese Reisen wohl nicht verständlich. 1972 bereiste er Indien und stellte seine Werke vor Ort in Ausstellungen in Kalkutta, Neu Delhi, Bangalore, Madras, Hyderahbad, Poona der Bevölkerung vor. Hier, wie an anderen Orten, zeichnete das intensive Naturstudium seine Arbeiten aus. Seit 1977 unternahm er zu diesem Zweck Studienreisen nach Griechenland. Dort blieb die klassische Antike nicht ohne Einfluss auf sein Schaffen: Es entstanden Zeichnungen und Ölbilder zu den großen Themen der griechischen Mythologie. Zwischen 1973-80 unternahm er immer wieder Reisen nach Kanada, USA und Alaska. 1976 waren seine Werke in Montreal, Toronto und Boston zu sehen. Im Jahr 2002 unternahm er nochmals eine ausgedehnte Reise nach New York. Er prägte zusammen mit anderen Vertreterinnen und Vertretern seiner Generation in all diesen Jahren in nicht geringem Umfang das Bild, das man sich von deutscher Gegenwartskunst im Ausland machte.

Mit dem Berliner Künstler und Kunstorganisator Ben Wagin (*1930) war Rischar bereits 1970 zusammengetroffen. Beide entwickelten seitdem gemeinsam Ausstellungen und eine Vielzahl von Projekten. Neben München, wo er seit Jahrzehnten und bis zuletzt zahlreiche Ausstellungen realisierte, war Berlin für Siegfried Rischar so immer wieder ein bedeutender Schauplatz. Hier finden sich mehrere bedeutende Werke im öffentlichen Raum: Das Fassadenbild «Der Weltbaum» von 1975, das im Tiergartenviertel die gesamte Brandmauer eines großen Mietshauses an der Bachstraße einnimmt und das er zusammen mit Fritz Köthe und Peter Janssen plante und mit dem Inder Narende Jain ausführte oder die Installation von 1986 «Werden, Sein, Vergehen» am Berliner S-Bahnhof Savignyplatz.

Wichtig war Siegfried Rischar stets seine Verbindung zu Kolleginnen und Kollegen, der Austausch, das Zuhören. So war er langjähriges Mitglied des «Berufsverbandes Bildender Künstler», der «Neuen Münchner Kunstgenossenschaft» und der «Darmstädter Sezession», in deren Ausstellung auf der Mathildenhöhe nun, überschattet vom Tode des Künstlers, seine Werke erneut zu sehen sind. An zahlreichen Veranstaltungen der Sezession, etwa den internationalen «Pleinairs» in Mirabel in der Ardèche hatte er in der Vergangenheit teilgenommen.

Eine bedeutende Inspirationsquelle für Siegfried Rischar war immer wieder die Musik. In zahlreichen Werken ist seine Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen und musikalischen Empfindungen nachvollziehbar. In den Jahren 1982/83 entstand seine Serie von Pastellkreidearbeiten über den von Franz Schubert vertonten Gedichtzyklus Wilhelm Müllers «Die Winterreise». Bedeutende Aufträge hatte Rischar immer wieder in der Region seiner Heimatstadt Aschaffenburg ausgeführt, deren Kulturpreis er im Jahr 2001 erhalten hat. Nicht selten bot ihm auch dabei die Literatur die Inspiration. Zu den bedeutenden Arbeiten dieser Gruppe gehören die beiden zwischen 1984-87 im Auftrag der Landeszentralbank Hessen in Frankfurt entstandenen Wandfriese, die Situationen aus Goethes «Faust II» verarbeiten.

Mauerfall und Wiedervereinigung Deutschlands berührten den Künstler sehr, der als junger Mensch den Wahnsinn des Krieges als Marinesoldat erlebt hatte. Zahlreiche Arbeiten entstanden dazu seit 1989. Ein von Rischar bemaltes Fragment der Berliner Mauer steht seit 1991 als Erinnerung vor dem Atelier in der Grünewaldstraße. Siegfried Rischar hatte auch zuvor stets Anteil an aktuellen Problemen der Zeit genommen. Seien es die eklatant zu Tage tretenden Folgen der Umweltzerstörung in den 1970er Jahren, denen er mit lyrisch gestimmten Landschaften und dem Appell zur Veränderung begegnete oder seine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den schockierenden Bildern des Ersten Golfkriegs.

Seit den 1990er Jahren nahm das künstlerische Ausdrucksstreben Rischars noch einmal neue Einflüsse auf. Seine Palette veränderte sich, die Farbnuancen wurden noch zarter ausformuliert. Der Künstler forschte bis zu seinem Tode nach Urzuständen derNatur. Er war produktiv und offen, für das Gespräch, den subtilen Austausch über das Wesen der Kunst. Die Kunst belebte diesen Künstler, der keinen Tag, an dem er zu arbeiten vermochte, ungenutzt verstreichen ließ.

Siegfried Rischar ist seinen Weg als ein uns Zugewandter zu Ende gegangen. Es bleibt Dankbarkeit, dass er uns so unserem Selbst in seiner Kunst näher gebracht hat.

Siegfried Rischar

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