Nachruf auf Helmut Lander / Von Dr. Roland Held – 24.10.2013

Bilder des eingeschlossenen Menschen – Täter, die Opfer, Sieger, die Verlierer sind

»Geh ja nicht sanft hinüber in die gute Nacht, / Das Alter sollte flammen, toben, wenn der Tag sich neigt; / Stürm’ an, stürm’ an gegen das absterbende Licht!« An diese Zeilen aus einem Gedicht, das der Waliser Dylan Thomas nach dem Tod seines Vaters schrieb, musste ich öfters denken während Helmut Landers letzter Lebensjahre. Der Trotz, mit dem der Bildhauer sich gegen den körperlichen Verfall – der in Gestalt der Parkinson-Krankheit seit langem seinen Alltag regierte – auflehnte, war an sich schon bewundernswert. Das Besondere aber daran war, dass wir alle von diesem Trotz profitierten: Er trieb Lander, dessen Œeuvre eigentlich längst groß genug war, um seinen Urheber zufrieden die Hände in den Schoß legen zu lassen, zu immer neuen Werkansätzen und -serien. Schaffen – so rückversicherte sich Helmut Lander, dass er nicht Sklave seiner Krankheit, noch nicht Beute des Todes war, auch wenn in den letzten Jahren das Arbeiten erst schwerer und dann unmöglich wurde. Welche Überraschung, als er, den man stets als Mann des kontrollierten, kalkulierten Umgangs mit seinem Material eingeschätzt hat, vor einigen Jahren einen Schwung Skulpturen mit irregulären Formen vorstellte, entstanden, indem er im Wald gefundene Äste zu Figuren mit schlenkerigem Gliederspiel zusammenmontierte und in Metall goss.
1951 kam er von Weimar nach Darmstadt

Es war während eines Besuchs in Landers Atelier, angebaut ans Wohnhaus am Fuß der Mathildenhöhe, als mir vor Jahren erstmals bewusst wurde, wie viel lieber Künstler über Formfragen Auskunft geben als über solche des Inhalts. Dabei bleiben beide tief verwickelt in Helmut Landers Biografie. Geboren 1924 in Weimar, entging er, generationstypisch, weder der Nazi-Indoktrination noch dem Kriegsdienst. Aus der Gefangenschaft entlassen, begann er in seiner Heimatstadt ein Studium an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste, das er mit dem Diplom für Wandmalerei abschloss. Es war die Zeit, als sich nach anfänglicher Freiheitlichkeit das kulturelle Klima in der DDR ideologisch verschärfte. Als auch in Weimar die Reste des Bauhaus-Denkens zunehmend politisch weggefegt wurden, wechselte Helmut Lander in den Westen über und landete dank alter Studienkontakte 1951 in Darmstadt. Studienkontakte waren es auch, die dem Maler, der er damals war, hin und wieder einen Auftrag im Rahmen der florierenden Kunst am Bau vermittelten. Die Bilder jener frühen Jahre verraten den Einfluss, den der Kubismus auf ihn hatte – nicht als starres Regelsystem, das die ganze Wirklichkeit auf Kugel, Kegel und Zylinder zurechtstutzen will, sondern als Hilfsmittel, um das sichtbare Formenangebot einzubringen in eine eigenständige, den Gesetzen der Fläche gehorchende Bildordnung. Ein Grundprinzip, das Lander auch auf andere Medien zu übertragen lernte, als seine Arbeit an Kirchenfenstern, Reliefs und anderen innenarchitektonischen Gestaltungen, für die er teils unkonventionelle Materialien wie dicke Glasbrocken bevorzugte, ihn allmählich zur Bildhauerei führte.

Freilich wäre nichts falscher als die Vermutung, Helmut Lander sei künstlerisch je purer Formalist gewesen. Seit er sich in den späten sechziger Jahren ganz dem plastischen Metier verschrieb, äußert sich in seinen Bronze- und Eisengüssen sehr wohl Thematisches: eine Fülle von Figuren, die ein Bild des Menschen vermitteln, der seine Sinnlichkeit und Vitalität verteidigen muss gegen Umstände, welche ihm oft genug seiner physischen Unversehrtheit und räumlichen Bewegungsfreiheit beraubt haben. Lander verdeutlichte dies mittels Spaltung, Fragmentierung, Torsierung der Figur einerseits, andererseits mittels Einschub einer Vertikalplatte in den Körper oder dessen Eingeschlossensein im Block – um nur wenige Beispiele aufzuzählen.

Er gehörte zu den raren Künstlern, die immer wieder ihre Fähigkeit bewiesen, auf akute poltisch-gesellschaftliche Probleme zu reagieren. Es muss vor dem Hintergrund der eigenen historischen Erfahrung gesehen werden, wenn in seinem Werk so viele Gefesselte, Malträtierte und Exekutierte auftauchen, Täter, die auch Opfer, Sieger, die letztlich Verlierer sind. Helmut Lander hat das in einer rückschauenden Selbstaussage bestätigt: »Vier Jahre Krieg und Gefangenschaft, zu jung, zu naiv, zu idealistisch, um zu begreifen. Erst zu Ende des Krieges wuchs das Bewusstsein für die Schuld und die Verantwortung für den Tod von Millionen Menschen, unbeschreibliches Leid und Unrecht. Dieses Schuldgefühl wird meine Generation wohl bis zum Lebensende mit sich herumtragen müssen. (…) Diese Erkenntnis hat mich und meine Arbeit geprägt, sie zwingt zu Skepsis und kritischer Distanz.«

Nun sollte man über dem Ernst, dem Engagement nicht Landers Lust am Spiel und am Experimentieren vergessen. Nicht seine Reihen von Skulpturen und aquarellierten Kreidezeichnungen, auf denen er, ohne läppische Linien-Lieblichkeit, bis zuletzt der Erotik und der mysteriösen Macht des Weiblichen huldigte. In unendlich vielen Variationen hat Helmut Lander das Thema Kopf behandelt: mit unterschiedlicher Patina oder Metallsorte an ein und demselben Stück; mit Einzelteilen, die scharnierartig gegeneinander verschoben werden können; längs durchgeschnitten, so dass man ins »Gehirn« blickt; verspiegelt, so dass man darin das eigene Zerrbild wiedererkennt.

Spiegelnd polierte Flächen rangieren hoch auch bei den Mini-Bühnenbild-Installationen, die der Künstler mit vielen Kleinfiguren zu bevölkern liebte. Doch noch der spielerischste Einfall hat Bezug zum Gefühl des modernen Menschen gegenüber Körper und Dasein, Zeit und Raum. Im schwindelerregenden Zerfall des vormals Festgefügten, einer Entwicklung, der sie sich selber kaum entziehen können, leisten Landers Figuren nach Kräften Widerstand, beweisen sie ein Rest-Quantum Trotz. Wo der Kubismus für diesen Bildhauer die Schule der Ästhetik war, bedeutete ihm der Existenzialismus die angemessene Schule der Philosophie. Dessen illusionslose Haltung, die den Menschen, nach Abdankung aller religiösen und ideologischen Gewissheiten, zum Alleinverantwortlichen seiner Entscheidungen macht und ihm dafür die Chance verheißt, sich durch sein Tun selbst zu definieren, musste einem Helmut Lander einfach einleuchten. Bis in den Suizidversuch hinein, den er, der Zerrüttung seiner Kräfte durch die Krankheit gründlich leid, 2003 unternahm, um sofort nach seiner Rettung, noch auf dem Krankenbett, mit der tabulosen Aufarbeitung des Durchlebten in Wort und Bild zu beginnen.

Albert Camus’ Mythos von Sisyphos war ihm gewiss präsent, als er seine Version der griechischen Sagengestalt schuf: ein Mann aus rostüberzogenem Eisenguss, wie in einer Schere eingeklemmt zwischen der Kante des Berges, den er erklimmt, und der des Felsens, den er vor sich wälzt. Wie untriumphal immer er sich dabei verbiegt – das Gefühl, das ihn beseelt, kann kein anderes sein als Trotz.

Dr. Roland Held
veröffentlicht im Darmstädter Echo, 24.10.2013
Archivfoto © Günther Jockel (Helmut Lander, vor neun Jahren aufgenommen bei einer Ausstellung seiner Werke in der Trautheimer Galerie Lattemann)

Helmut Lander

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