Zeittypische Details, überzeitliche Aussage Im Rückblick: der Bildhauer Richard Heß / Von Roland Held – 01.12.2017

Im Jahr 1980 wurde Richard Heß mit dem Kunstpreis der Stadt Darmstadt, heute: Wilhelm-Loth-Preis ausgezeichnet. Im Katalog der zwei Jahre später auf der Mathildenhöhe ausgerichteten Preisträger-Ausstellung schilderte Bernd Krimmel, wie ihm die Konfrontation mit den Heß’schen Plastiken im Atelier vorkam: „Wie Schauspieler aus verschiedenen Stücken, die auf einer Probebühne zusammentreffen, sprechen sie ganz unterschiedliche Texte. Sie berichten nicht von einem einheitlichen objektiven Realitätsgrund, sondern von den subjektiven Wirklichkeitserfahrungen, aus denen sie geboren sind.“ Sätze, die nichts an Gültigkeit eingebüßt haben in den dreieinhalb Jahrzehnten, in denen der Künstler sein Oeuvre kontinuierlich erweitern konnte. Einerseits war Heß, 1937 in Berlin geboren und dort nach einer Lehre zum Holzbildhauer von 1956 bis 1961 Bildhauerei-Student an der HfBK, ein spätes Glied in der Traditionskette des Berliner Realismus. Im Zentrum seines Schaffens stand das Menschenbild, dem er verpflichtet blieb gerade angesichts von Trends der Kunstszene, die er als dessen äußerste Gefährdung ansah. Andererseits gab er sich – Meisterschüler bei Bernhard Heiliger, alles andere als ein Realismus-Exponent – mit der platten äußerlichen Abschilderung von Mensch und Welt nicht zufrieden. Sein überwiegend in Bronze oder Terrakotta, nur vereinzelt in Stein ausgeführtes Figuren-Ensemble scheut zwar weder den Verweis auf urbanes Umfeld noch zeittypische Attribute im Detail. Zielrichtung jedoch ist die allgemeingültige Aussage, die überzeitlich verständliche Situation, öfters mit allegorischem, biblischem oder mythischem Akzent.

Zwischen Gewalttätigkeit und Erotizismus gespannt sind die stets vitalen Einzelthemen – zwischen dem gemarterten, gefesselten, schrundig und pelzig aufgerissenen, fragmentierten (männlichen) Leib und dem selbstbewusst barbrüstig-breithüftig auftretenden, in sinnlich prall gespannte Formen gegossenen (weiblichen) Akt. Beides wusste zu provozieren. Liebespaare, Mütter mit Kind, Arbeiter, Spießbürger, Boxer, Militärs, Beamte, nicht zuletzt Prostituierte bevölkern, in wechselnden Graden von Bekleidetsein, die von Heß entworfene moderne Großstadt; Privates und Öffentliches durchdringen einander. Speziell in Dekaden der gesellschaftlich-mentalen Befreiung wie den sechziger, siebziger Jahren traf er damit einen Nerv. Parallel dazu die Aufwärtskurve der Laufbahn: erst Assistent an der TU Braunschweig, von wo ihn Waldemar Grzimek 1968 an die TH Darmstadt holte. 1971 wurde er Mitglied in der Darmstädter Sezession, in deren Vorstand er zeitweise mitarbeitete. Ab dem gleichen Jahr wirkte er als Dozent an der TU Darmstadt, eine Funktion, die er 1980 aufgab, weil ihm eine Professur an der FH Bielefeld angeboten wurde. Als er 2001 emeritiert wurde, war er bereits zwei Jahre wieder mit Wohnung und Atelier in seiner Heimatstadt Berlin verortet. Dort starb Richard Heß am 9.Juni 2017.

Sein Werkverzeichnis umfasst 724 Plastiken, davon ein Fünftel – bei einem Bildhauer Indiz des ökonomischen Erfolgs – im öffentlichen Raum! So beherrscht eine monumentale Gruppe, den siegreichen, doch sichtlich erschöpften David auf Goliaths Körpertrümmern zeigend, seit 1983 in Frankfurt den Anfang der Einkaufsstraße Zeil, nahe der Hauptwache. „Liebe, Qual, Sieg, Niederlage, Tod, das sind für mich die großen Themen“ (Heß). Noch zu seinen Darmstädter Zeiten eröffneten sich für ihn mit einer Reihe von Ausstellungen und Sammlungsankäufen neue Horizonte in Italien, mit Verona als galeristischem Zentrum. Was er, früh von Marini und Manzù beeindruckt und in mediterraner Schönform mindestens ebenso tief verwurzelt wie in märkischem Wirklichkeitssinn, zweifellos als Bestätigung empfand. In einem italienischen Katalog wurde Richard Heß einmal sinngemäß als einziger nordalpinischer Bildhauer Italiens gefeiert.

Zeittypische Details, überzeitliche Aussage Im Rückblick: der Bildhauer Richard Heß
Großer Minotauros I, 1984, Bronze, 137/69/60 cm

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