Krolow, Karl †

Mitglied der Darmstädter Sezession seit 1975
Literatur

* 11.03.1915 in Hannover
† 21.06.1999 in Darmstadt

1936-41 Studium der Germanistik, Ro­manistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Göttingen und Hannover, 1972-75 Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dich­tung, 1975 Stadtschreiber von Bergen-­Enkheim

1985
Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste

1983
Hessischer Kulturpreis

1975
Ehrendoktor der Technischen Hoch­schule Darmstadt

1956
Georg-Büchner-­Preis der Stadt Darmstadt

 

Zum Tode von Karl Krolow Nachruf auf einen großen Dichter von Fritz Deppert

Karl Krolow ist am Montagabend im Alter von 84 Jahren in Darmstadt gestorben. Am 11. März 1915 in Hannover geboren, seit 1941 mit Luzie Gaida verheiratet und seit 1942 als freier Schriftsteller lebend, war Krolow in meinen Augen der deutsche Lyriker, der am beständigsten und überzeugendstenn über Jahrzehnte hinweg die lyrische Landschaft modelliert und vorangetrieben hat. Dies ereignete sich ohne Ermüdungserscheinung oder sich zurückziehende Altersweisheit, im Gegenteil, seine Gedichtbände wurden immer aktueller in einem die zeitgenössische Lyrik prägenden Sinn, immer herausfordernder, er war in der Regel den jungen Autoren um einen Schritt voraus und auf diese Weise der zeitgenössischste und jüngste unter ihnen. Karl Krolow hat eher Mode gemacht als mitgemacht.
Sein erster Gedichtband erschien 1943. Seit 1953 war er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und hat sie über viele Jahre, auch als Präsident (1972), gefördert und wesentlich zum hohen Stellenwert, den sie in der bundesrepublikanischen Kulturlandschaft besitzt, beigetragen. 1956 erhielt er den Georg-Büchner-Preis und war so einer der Autoren, die ausgezeichnet wurden, als man von ihnen noch ein umfangreiches und bedeutsames Werk erwarten konnte. Im gleichen Jahr zog er nach Darmstadt und ist in mehrfachem Sinn dieser Stadt, die er sich als Wohnort aufgrund eines Angebots des kunstsinnigen Kulturdezernenten und späteren Oberbürgermeisters Heinz Winfried Sabais ausgesucht hatte, treu geblieben. Er war hier nicht nur als Lyriker präsent, nicht nur in der Akademie wirksam, Sabais wurde sein enger Freund und ließ sich vielfach von ihm beraten. In zahlreichen Gremien und Juries hat Krolow in dieser Stadt wichtige Kulturpolitik geleistet und zum kulturellen Image Darmstadts beigetragen. So hat er an der Büchnerpreisverleihung und am Literarischen März mitgewirkt. Geehrt wurde er mit dem Großen Niedersächsischen Kunstpreis (1965), dem Rainer-Maria-Rilke-Preis (1975), dem Dr. phil. h.c. der TH Darmstadt (1976) und dem Hessischen Kulturpreis (1983). Dies nur ein kleiner Auszug.

Erst recht muss ich es mir versagen, seine Buchveröffentlichungen zu nennen, sie sind auch ohne das Meer von Anthologien zahlreich. Und zahlreich sind auch die Veröffentlichungen über Karl Krolow und sein Werk. Er war an erster Stelle Lyriker und dokumentierte dies in vielen Büchern. Die meisten sind bei dem Verleger Siegfried Unseld erschienen, der ihm so wie Sabais zum Freund wurde und das Werk betreute, veröffentlichte und verwaltete.
Aber Krolow hat auch Prosa geschrieben, kleine, kurze Texte, der Lyrik nahe, und umfangreiche Erzählungen wie „Das andere Leben“. Nebenbei hat er auch der Stadt, in der er lebte, Texte gewidmet und Bücher über sie mit Texten begleitet, die seine liebevolle Distanz eindrucksvoll demonstrieren.
Krolow wuchs schnell aus der Nachfolge der Naturlyrik Wilhelm Lehmanns heraus und nahm das auf, was sich, während er Im inneren Exil das Dritte Reich erlitt, hier in der Weltliteratur ereignet hatte, vor allem in der spanischen und französischen Lyrik. Seine vorzüglichen Übersetzungen hinterlassen ihre Spuren in seinen eigenen Texten, die von daher die Leichtigkeit erhalten, die in der deutschen Lyrik so selten ist, es ist eine romanische Leichtigkeit des poetischen Sprechens und der poetischen Bildhaftigkeit.

Die Verführung, die von ihr ausgeht, hat viele jüngere Lyriker beeinflusst, so dass vielfach gekrolowt wurde, ohne ihn je wirklich erreichen zu können. In wohlwollenden Vor- und Nachworten und Kritiken hat er diese Lyriker (und auch andere) beschrieben. Er hat Generationen nachfolgender Lyriker beeinflusst und wurde auf diese Weise so etwas wie eine lyrische Institution.

Seine Prosa bleibt insofern in der Nähe seiner lyrischen Sprechweise, als sie sehr konjunktivisch verfährt, von Möglichkeiten spricht, Offenheiten zulässt, von, wie der Krolow-Kenner Walter Helmut Fritz es formuliert, „Intimität der Mitteilung“ gekennzeichnet ist und durch ironisches Sprechen die schnelllebigen literarischen Moden und Konventionen infrage stellt. Dies geschieht jedoch in der Lyrik radikaler als in der Prosa, so wenn Krolow in Gedichten aus dem Band „Herbstsonett mit Hegel“ die gegenwärtige Verdorbenheit und Derbheit des Sprechens im Jargon in die Texte hineinnimmt und schillern lässt. Er nennt es „das Gedicht anrauhen“.
Die Prosa lebt, und dies kennzeichnet wiederum den Lyriker, von der Genauigkeit des Details und dem immer wieder ins Blickfeld rückenden Darstellen der inneren Vorgänge. Handlung geschieht wenig oder nur nebenbei.

So beginnt er auch folgerichtig mit einem „Poetischen Tagebuch“ (1966) und mit „Minuten-Aufzeichnungen“ (1986), bevor er mit „Das andere Leben“ (1979) und „Im Gehen“ (1981) sich ‚fortsetzende lange Erzählungen schreibt.
Seine Lyrik, vor allem die späten Texte, ist immer sparsamer und lakonischer in Sprache und Bild geworden, Ironie, spöttische Zitate, Understatements, scheinbar hingeworfenes und die leise Philosophie dessen, der mit ironischer Selbstbetrachtung altert, kenzeichnensie einerseits, andererseits ist ein immer deutlicheres Formbewußtsein festzustellen bis hin zum Sonett. Lust ist meines Erachtens das richtige Wort, um Krolows Umgang mit den Formen zu begreifen, Lust am spielerischen Anwenden. „Ich habe eine gewisse Lust, Gedichte, wenn sie so schön daherkommen, als Terzine, Sestine und Sonett, ein bißchen in ihrer Glätte … anzuticken“.

Neben den Brechungen, Untertreibungen und der beschriebenen Ironie gehören in diesen Zusammenhang auch die offenen oder, wie sie Jürgen Landwehr nennt, „schwebenden Schlüsse“. So wird Dichtung verstanden als Unternehmen zum sprachlichen Erfassen der Wirklichkeit, die jedoch, vorgefunden, aufgespürt, wieder infragegestellt wird. Der Prozess des Auf-die-Suche-Gehens und des Findens wird darum wichtiger als das Gefundene, das Phänomen wird wichtiger als die Erkenntnis. Und dies geschieht mit der Virtuosität der selbstverständlichen Sprachbeherrschung, die keinen Bereich auslässt, weder die Alltagssprache noch das klassische Zitat, noch die Wissenschaften bis hin zur „Algebra der reifen Früchte“ („Drei Orangen, zwei Zitronen“). Teilnahme und Respektlosigkeit, Zuhörenkönnen und distanzschaffende Skepsis waren die Grundhaltungen, , die souverän variiert werden.

Das geschah dazu noch schnell. Krolow war nicht nur ein schneller Arbeiter, obwohl er nichts Unfertiges aus den Händen ließ, es sei denn, Unfertigkeit sei ein Programm des Textes gewesen, auch seine Texte haben etwas von diesem „in gewisser Weise Überfallartigen“, wie er es formulierte, „provozieren liegt mir eigentlich weniger, Irritation ist viel reizvoller“. Das macht Krolows Lyrik schwer konsumierbar, weil sie Haken in uns setzt, und unverwechselbar. Und weil er immer wieder auf überraschende Weise seinen Zeitgenossen voraus war und zum Beispiel reimte, bevor es wieder als zulässig galt, gereimte Lyrik zu präsentieren, oder Inhalte aufgriff, die andere noch scheuten oder nicht zu bewältigen wussten.

Karl Krolow war der aufregendste, in der Präsenz und Qualität beständigste Lyriker der letzten Jahrzehnte. Sein Tod reißt eine nicht schließbare und schmerzliche Lücke, nicht nur in der Stadt, in der er auf seine Weise verwurzelt war.

Aufgrund einer schweren Zuckererkrankung, die seinen Körper, wie er es selbst formulierte, allmählich auflöste, verschwand Karl Krolow aus dem öffentlichen Geschehen. Aber gegen diese Auflösung schrieb er Gedichte, musste sie schreiben, sie drängten sich ihm auf so hartnäckig, dass er es als „Nötigung“ empfand. Gedichte blieben seine Lebensgefährten bis zum endgültigen Verstummen.
Ich trauere um einen bedeutenden Dichter, um einen Menschen, der dieser Stadt vielfältige Impulse gab, und um einen guten Freund.

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