Maria Anwander //

Metabilder
Von Ann M. Warda – 28.08.2012
Künstlerkritik

Reduktion als künstlerisches Stilmittel und die Macht der Worte sind uns nicht erst seit Lawrence Weiner oder Arbeiten wie ‚Erased de Kooning’* bekannt. Maria Anwander greift die Dekonstruktion von Bildern auf, führt diese zurück in deren eigene Beschreibung und vice versa. Als letztes übrig gelassenes Fragment bleibt oft nur noch ein Text, der die für den Betrachter real nicht sichtbaren Bilder beschreibt, wie beispielsweise in ‚Flash Art No. 259′ oder beim ‚Bauzaun‘ des vor- arlberg museums – einem Projekt im öffentlichen Raum, das sich ausschließlich mit der kuratorischen Beschreibung von Kunst auseinandersetzt. Mit Kalkül nutzt Anwander diese minimalistischen Textarbeiten nicht nur, um Bilder der kollektiven Erinnerung, sondern auch um neue Bilder in der Imagination des Betrachters hervorzurufen.

Immer wieder finden sich in Anwanders Werk einzelne Arbeiten, die als längerfristige Serien angelegt sind. Signifikant dafür ist ‚My Most Favourite Art‘, eine Sammlung von Titelschildern, die seit 2004 laufend erweitert wird und als ‚ongoing project‘ zu einem zentralen Bestandteil ihrer Arbeit geworden ist. Mustergültig hierfür ist auch die Arbeit ‚Untitled‘ von 2011: Auf einer Lederjacke, welche die Künstlerin seit ihrer Jugend trägt, sammelt sie Buttons, die man in meist größeren Museen zum Anstecken bekommt, und die dem Museumsper- sonal signalisieren, dass man den geforderten Eintritt rechtschaffen bezahlt hat – ganz so, wie es sich gehört. Anmutig wirken die bunten Buttons auf der durch die Jahre schäbig gewordenen Jacke, die völlig clean in einer Vitrine drapiert liegt und jetzt – ganz museal – einem historischen Relikt einer längst verstrichenen, von Sicherheitsnadeln und Aufnähern geprägten Subkultur gleicht. Ähnlich dem Phänomen eines Koffers, der die Sticker aller Städte trägt, die dessen Besitzer je- mals bereist hat, werden die Buttons hier ironisch zu Trophäen stilisiert. In Zeiten, da die Sichtbarkeit auf dem Markt wichtiger scheint denn je, kreieren große Häuser wie das MoMA, die Tate Modern oder das mumok eigene Marken und Logos. Sie verfügen über eigens für sie zugeschnittene Brandings um größtmögliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Seit Jahren werden sich die Ausstellungen jener großen Häuser jedoch immer ähnlicher, eintöniger und schließlich undifferenzierbar. Es hat den Anschein, als dienten die Logos einzig der Wahrung der Identität und zur Unterscheidung der einzelnen Museen und deren Leiter und Leiterinnen. Die Logos blitzen nicht nur von Buttons, sondern auch von Tassen, T-Shirts, Einkaufstaschen und sonstigem Kram, der sogleich in den öffentlichen Raum getragen wird. Von der Künstlerin werden die Buttons ironisch, wie erbeutete Schwänze von gejagten Hyänen, auf ihrer Jacke präsentiert.

Ohne Werbebudget und PR-Abteilungen müssen sich die meisten Künstler selbst um ihre Vermarktung kümmern. Doch was kann als Künstler/in unternommen werden, um auf dem Kunstmarkt sichtbar zu werden? ‚Netzwerken‘ wäre vielleicht die Antwort vieler und in der gegenwärtigen Zeit, in der ein Begriff wie ‚social network‘ keiner Eindeutschung mehr bedarf, ist das nicht einmal überraschend. „Wenn man als Maler zu Lebzeiten Erfolg haben will, muss man schon in mehr als einen Arsch kriechen“, sagt Manfred Enders, ein fiktiver Maler aus der Krimireihe ‚Tatort‘, die Anwander in ihrer Arbeit „Von der Illusion von Kunst“ zitiert. Auch reale Künstler, wie beispielsweise Andrea Fraser, thematisieren diese Problematik. In ihrem Video ‚Untitled‘ von 2003 zeigt Andrea Fraser, wie sie mit einem Sammler für Geld ins Bett steigt. Was aber tun, um dem ‚Arschkriechen‘ aus dem Weg zu gehen? Vielleicht statt eines Kurators/einer Kuratorin einfach die neutrale weiße Wand eines Museums knutschen und ein Titelschild daneben hängen, das die – eigentlich unsichtbare – Arbeit als Werk konstatiert. Feige? Nicht unbedingt, riskiert Maria Anwander doch mit ihrer Arbeit The Kiss (MoMA)‘ einen Rausschmiss aus dem Museum und in Amerika womöglich eine Übernachtung im Gefängnis. Auf eingefahrene Hierarchien innerhalb des Kunstbetriebs kann doch außerdem nur durch das Negieren ebendieser aufmerksam gemacht werden. Anwander rüttelt an der musealen Selektion und somit am Fundament der Institutionen.

Die Verweigerung systematisch geordneter Abläufe als anarchistischer Akt im Museum.

Praxen institutionskritischer Kunst werden von Anwander wenig didaktisch in ihr Werk übernommen, um Mechanismen des Kunstmarkts, mit einer Prise Humor versehen, aufzuzeigen. Im Sinne der Verweigerung, sich vorherrschenden Strukturen zu unterwerfen, klaut Anwander seit Jahren Titelschilder aus Museen, oder bringt ihre eigenen ohne Genehmigung dort an. Dies kann getrost als Anstoß genommen werden, über den uns globalisiert aufgetischten und hundertmal wiedergekäuten Einheitsbrei klonartiger Künstler-Individuen auf den Grund zu gehen.

Nicht nur in bereits genannten, auch in einer mit Ruben Aubrecht gemeinsam produzierten Arbeit, lassen sich kunstmarktkritische Sichtweisen erkennen. ‚Untitled (Fucks the curator)‘ scheint auf den ersten Blick radikal, wagt man jedoch den Blick hinter die Rüpel-Fassade, lässt sich die subtile Kritik am Kunstgeschehen erkennen. Anwander – in diesem Fall – die Kuratorin, konzipiert eine Ausstellung**, zu deren Teilnahme sie Ruben Aubrecht einlädt. Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Fragwürdigkeit der Vermarktung von und der Spekula- tion mit Kunst, ebenso wie mit Rankings, die über die Qualität von Künstlern – vermeintlich – Auskunft geben sollen. Schon im Vorfeld ist jedoch zwischen Anwander/Aubrecht abgemacht, dass keine Werke des Künstlers gezeigt werden, stattdessen hängt in einem eigens hierfür leergelassenen Raum ein Post-it mit der Notiz ‚fucks the curator‘. Im Kontext dieser Ausstellung gelang es Aubrecht durch das ‚Ficken‘ der Kuratorin und der damit verbundenen Auflistung als teilnehmender Künstler auf sämtlichen Einladungskarten, Katalogen und Plakaten innerhalb diverser Künstlerrankings aufzusteigen, ohne selbst mit einer eigenen Arbeit vertreten zu sein. Dass die beiden ein Paar wa- ren, konnten die Besucher der Ausstellung nicht ahnen, aber selbst das wollten Anwander und Aubrecht hier aufzeigen: Lobbyismus und Klüngel-Wirtschaft, die dem System immanent zu sein scheinen.

Immer wieder verweisen Maria Anwanders Arbeiten, gepaart mit einem Hauch von Selbstironie, auf verschiedene Schieflagen unserer Gesellschaft. So auch die Arbeit ‚everyone’s best friends‘, ein Konvolut an Portraits berühmter Persönlichkeiten. Betrachtet man die Portraits genauer, erkennt man, dass diese von Geldscheinen stammen. Nicht abgezeichnet oder gar gemalt, um den biederen Rähmchen gerecht zu werden – sie wurden von Anwander einfach herausgeschnitten! Technisch geht Anwander manchmal den schnellen Weg, sie kürzt ab. Eine Herangehensweise, die vielen zu simpel oder gar radikal vorkommen mag, die sie jedoch gezielt einsetzt, um ihre Ideen bescheiden und für jeden, auch ohne kuratorische Übersetzungshilfe, verständlich zu machen. Die Portraits in ,everyone’s best friends‘ zeigen nicht nur integre Persönlichkeiten mit Vorbildwirkung, sondern auch grausame Diktatoren und Despoten. Monetäre Werte eliminieren moralische und deuten auf ein dem Kapitalismus der entwickelten Industrienationen immanentes Problem hin: Die westlichen Demokratien scheinen konsequent ihre moralische Verantwortung zu vergessen, sobald es um die eigene Gewinnmaximierung und den Profit geht.
Vor Raubtierkapitalismus und ständig zu platzen drohenden Spekulationsblasen blieb auch die Kunstwelt nicht gefeit. Auktionen, in denen Zeitgenossen in immer kürzer werdenden Abständen immer höhere Verkaufspreise erzielen, Skandale um Kunstfälschungen und Galeristen, die Preise künstlich hoch halten, zogen selbst am konsequentesten Kunstverweigerer nicht spurlos vorüber.

Von diesen Blasen oder aber der heißen Luft, die jene zum Entstehen gebracht hat, ist auch die Rede in ‚analyzing through work‘, einem Video Anwanders. In Manhattan, nur wenige Kilometer von Lehman Brothers, dem Epizentrum der Finanzkrise entfernt, befragt sie den Psychoanalytiker Adolfo Profumo zu ihren Arbeiten. Er soll anhand ihres Portfolios psychologische Rückschlüsse auf ihre Person ziehen, ohne sie je davor gesehen zu haben. Ihre Stimme aus dem Off antwortet zögerlich – nur nichts verraten wollend – mit ja oder nein, auf die Fragen, die er ihr stellt. Dr. Profumo spricht von Jeff Koons, dessen Oberflächlichkeit ihn langweilt, von der ewig an sich selbst leidenden Kunst und äußert sich schließlich über Anwander und ihre Arbeit sehr treffsicher, wie es scheint. Wer ist diese Künstlerin, was verbirgt sich hinter der Person, die Museen beklaut und ihre eigenen Arbeiten selbstbestimmt ins Museum hängt, was verheimlicht sie uns? – Gar nichts, so möchte man meinen, betrachtet man ihre Arbeit ‚Selfportrait – half in the bag‘, die für eine Gruppenausstellung zum Thema Selbstportrait entstanden ist. Die Künstlerin, die zum Zeitpunkt der Ausstellung in New York war, hatte ihre Handtasche samt Inhalt an die ausstellende Galerie in Berlin geschickt. Reisepass, Bankkarten, Kalender, Notizen, Kaugummis, Schlüssel, Rechnungen etc. wurden auf einem Tisch ausgebreitet, um sich dort den Blicken der Betrachter zu erschließen. Doch dem nicht genug, sendete sie fast täglich Kuverts und Päckchen mit den Dingen nach, die normalerweise in ihrer Tasche gelandet wären. Nun ist es nicht nur so, dass die Künstlerin Persönli- ches preisgibt, indem sie den intimen Inhalt ihrer Tasche ausstellt – sie führt uns weiter – lässt uns über den Status quo Maria Anwanders sinnieren. Durch das Betrachten des exponierten Tascheninhalts entsteht eine Intimität zwischen Rezipient und Werk, die Rückschlüsse auf den Charakter der Künstlerin zulässt.

Maria Anwanders Arbeitsweise ist ihre akademische Ausbildung in Performance und Bildhauerei nicht mehr viel anzumerken, und doch schwingt in den Arbeiten ‚The Kiss (MoMA)‘ als auch ‚My Most Favo- urite Art‘ ein Subtext der zuvor stattgefundenen Performances mit. Wenn man ein Titelschild, das ein sehr charakteristisches Element in Anwanders Arbeit ist, liest, so verlangt es dem Betrachter ab, sich selbst ein Bild zu machen, seine Vorstellungskraft zu aktivieren. Oft in Form von Aphorismen, entlocken einige Titel unserem geistigen Auge rege Szenarien. Dies treibt die Künstlerin mit einer Verdoppelung auf die Spitze. Denn auch ihre eigenen Arbeitsbeschreibungen sind ernst zu nehmen und bildgebend. Wenn da beispielsweise auf dem Titelschild neben der Installation steht: ‚My Most Favourite Art / Installation / 79 gestohlene Titelschilder‘, so entwickelt der Betrach- ter automatisch ein imaginäres Szenario, versucht sich die Künstlerin vorzustellen, wie sie sich angesichts des Aufsichtspersonals der Titel- schilder bemächtigt und sich anschließend aus dem Museum stiehlt. Beim ‚Kuss‘, dem sie ihr eigenes Titelschild beigefügt hat, verhält es sich ähnlich. Während das eigentliche Werk hier gar nicht mehr sichtbar ist, weist die Beschreibung ihrer Arbeit – von einem Zungenkuss an der Wand ist hier die Rede – auf den vorherigen performativen Akt hin. Automatisch stellt sich das Bild von einer die Wand küssenden Frau im Kopf des Betrachters ein.

Vereinfacht könnte man also sagen, so wie Lawrence Weiner Skulpturen schafft, die rein aus Worten bestehen, so sind es bei Anwander Performances, die durch Worte hervorgerufen in unseren Köpfen stattfinden oder dort weiter leben.

In ‚erased Flash Art No. 259′ radiert sie alle Bilder eines Kunstmagazins aus, das sich auf dessen Cover als ‚the world’s leading art magazine‘ bezeichnet. Mit diesem Akt entreißt Anwander dem Magazin die Macht und lässt es farb- und bildlos zum Durchblättern zurück. Den Radiergummi-Abrieb, der durch die an ihm haftende Druckfarbe der Bilder eingefärbt wurde, füllt sie in Säckchen, die Macht wird umverteilt. Nicht das Magazin macht die Bilder, die Rezipienten sind an der Reihe, jeder für sich soll anhand der Farbreste und dem verbliebenen Text im Magazin ein neues Bild entwerfen, einen neuen Gedanken fassen. Das Lesen von Worten, deren Zusammenfügen zu Sätzen, die eigene Vorstellung des Gelesenen, die individuelle Imagination selbst wird so von Anwander zur Kunst erklärt. Ein an den Betrachter gerichteter versteckter Appell der Künstlerin, eigenständig zu denken und sich nicht durch Medien beeinflussen zu lassen?

Adolfo Profumo, der Psychoanalytiker, nennt Anwanders Werk ‚leidend‘, hebt es aber, durch die der Arbeit immanente Fähigkeit zur Selbsterziehung, von anderen ‚leidenden‘ Arbeiten ab. In der Psychologie nennt man das Selbstsozialisation. Genau die lässt Anwanders Herangehensweise interessant werden. Wir sehen institutionskritische Arbeiten, die aktuelle Problematiken reflektieren und uns, mit einem Funken Humor versetzt, durch eine Leichtigkeit aus der Tiefe ziehen.

Maria Anwander hält uns, die Betrachter, für wichtig, für vertrauenswürdig und sie nimmt uns ernst. Vielleicht ist gerade dies der Grund, warum wir ihre Arbeiten ernst nehmen und sie für wichtig und gut halten. Schön wäre es, wenn Kunst öfter auf dieser Gegenseitigkeit beruhen würde und nicht – wie allzu oft der Fall – sowohl von der einen als auch von der anderen Seite, zu engherzig gehandelt wird.

 

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